An einem wunderschönen, sonnigen Sonntag, der Name
machte dem Tag alle Ehre, erblickte in Rudolstadt ein kleiner
Junge das Licht der Welt. Es war der 31. Juli 1955. Seine
Eltern nannten ihn Hans-Jürgen. Hans-Jürgen Maigut, das
Sonntagskind.
Ja, ich war auch mal Kind. Hm. Was heißt eigentlich war? Oh
nein, oftmals ist mir, als ob ich in meinem tiefsten Inneren
noch ein Kind bin. Ist doch seltsam, nicht wahr?
Damals wurde ich geboren, hineingeboren in eine Welt voller
Bilder. Jede Minute, jede Stunde, jeder Tag brachte Neues an
Wissen, Erfahrungen, Entdeckungen. Es ist und war ein ständiges
Lernen, Kennenlernen und Erleben.
Als Kind hatte die Suche nach Wärme, Liebe, Geborgenheit
und Sicherheit Vorrang.
All das gaben mir meine Mutti und mein Vati und das ihr ganzes
Leben lang.
Eines war aber auch von Anfang da: Die Suche, meinen Hunger
zu stillen. Ich war gierig, ja so kann man es auch nennen.
Gierig nach allem was gut tat, was satt machte und das war zu
Beginn MUTTERMILCH.
Ich wurde lange gestillt. Ja, auch dann noch, als meine
Schwester Marita geboren war und sie diese „Nahrung" dringender
brauchte als ich. Sie macht es mir heute noch zum
Vorwurf, dass ich ihr die Milch weggetrunken habe und es
stimmt sogar.
Denn man erzählte, ich war schon 2 Jahre alt, und sobald Marita
gestillt wurde, da kam ich mit einer Fußbank dazu, kletterte
hoch und bin an die andere Brust gegangen.
10
Ja, Marita das ist nun mal der Vorteil des Stärkeren, des Älteren.
Verzeih es mir bitte.
„Du Hosenmatz!"
Lebensgefahr
Diese Gier brachte mich eines Tages in Lebensgefahr, als ich
so 3 oder 4 Jahre alt war.
Mutti hatte aus Sicherheitsgründen eine Reinigungsflasche
(Möbelpolitur) auf ein Fensterbrett abgestellt, was für mich
scheinbar unerreichbar sein sollte.
Ich aber, der kleine Jürgen baute mir aus Stühlen eine Pyramide,
denn ich wollte unbedingt diese Flasche, diese mit weißer
Flüssigkeit gefüllten Flasche.
Vielleicht dachte ich an Milch.
Resultat, mir wurde der Magen ausgepumpt.
Das mit dem Auspumpen glaubte ich viele, viele Jahre bis ich
wegen des Schreibens meiner Geschichten mich mit meiner
Mutter darüber unterhielt und sie mir erzählte: „Oh nein, so
war das nicht. Ja, es stimmt, du hast diese Möbelpolitur getrunken,
aber als erste Maßnahme hat man dir sehr viel Milch
bis zum Erbrechen eingeflößt. Du hast durch deine Gier viel
Aufregung und Angst verursacht." Ich habe es überlebt und
deshalb glaube ich, dass ich doch ein Sonntagskind bin.
Noch etwas?
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr."
11
Kindliche Tierliebe
Als kleiner Junge (ich war 4 oder 5 Jahre alt) bekam ich eine
Schubkarre geschenkt. Oh, war ich glücklich. Sie war so
schön, ganz aus Holz und mit roter Farbe bemalt.
Ich sagte immer „Radebärre" zu ihr. Ich sammelte alles und
fuhr damit stolz durch das ganze Dorf. In Haufeld wurden
Rinder gezüchtet und dort war ein extra abgesperrter Stall,
der Bullenstall. Dorthin traute sich keiner, außer einem Mann,
dem Verantwortlichen.
Dieser Stall war verstärkt mit Balken und Brettern und die
Wände sahen trotzdem schlimm aus. Überall waren Löcher in
Wand und Holz. Oft hörte man aus diesem Stall ein Krachen.
Es war der Bulle und vor dem hatte jeder Angst. Ich weiß
noch, er hatte einen Nasenring und dicke Ketten. Eines Tages
kam der Mann in den Stall und was sah er?
Ich - der kleine Jürgen - stand vor dem Bullen. Hinter mir
diese Wand, vor mir dieser riesige Schädel mit diesen blutunterlaufenen,
bösartigen Augen und den großen Hörnern.
Meine Schubkarre stand neben mir, gefüllt mit etwas Heu,
Stroh und Gras. Also, ich stand vor diesem Bullen und fütterte
ihn, hielt ihm Gras vor das Maul.
Man bedenke, der Bulle hätte nur etwas mit den Schädel zu
drücken brauchen ...
Matsch wäre ich gewesen.
Da hatte ich wohl einen Schutzengel gehabt.
„Schlaf, Kindlein, schlaf ..."
12
Mein rollendes Bettchen
Meine Eltern waren sehr jung, als sie heirateten und bald bekamen
sie ihr erstes Kind, und zwar mich, den kleinen Jürgen.
Damals wie heute liegen Babys in Stubenwagen. Ich denk
mal, du weißt, was ein Stubenwagen ist? Nein?!
Als ich ein Baby war, bestanden die Stubenwagen aus einem
geflochtenen Weidenkorb, einem Untergestell mit 4 Rädern
und einem „Himmel".
Dieser Korb wurde außen herum mit Stoff drapiert, es sollte
ja schön aussehen. Eben nur das Schönste und das Beste für
das Baby und natürlich waren da noch eine Matratze und Decke
darin.
So einen Stubenwagen hatten auch meine Eltern für mich. Ich
muss viel geweint haben, warum auch immer.
Meine Eltern haben in diesem Dorf in einer schlimmen Wohnung
gelebt. Der Fußboden war schräg, hatte ein leichtes Gefälle.
Ich weiß nicht, wer auf diesen genialen Gedanken kam.
Jedenfalls banden sie einen Strick an den Stubenwagen und
dann ließen sie ihn einfach rollen. Abwärts rollte er von alleine.
Dann zogen meine Eltern den Korb wieder zu sich heran.
Der Stubenwagen fuhr dadurch hin und her. Es soll funktioniert
haben. Ich weinte nicht mehr, war ruhig.
Altes Liedgut
Melodie: nach einer Volksweise von Johann Friedrich
Reichardt (1781) Text: aus „Des Knaben Wunderhorn",
Band III, 1808
13
Schlaf, Kindlein, schlaf,
Der Vater hüt‘ die Schaf,
Die Mutter schüttelt‘s Bäumelein,
Da fällt herab ein Träumelein.
Schlaf, Kindlein, schlaf!
Schlaf, Kindlein, schlaf,
Am Himmel ziehn die Schaf,
Die Sternlein sind die Lämmerlein,
Der Mond, der ist das Schäferlein.
Schlaf, Kindlein, schlaf!
Schlaf, Kindlein, schlaf,
Christkindlein hat ein Schaf,
Ist selbst das liebe Gotteslamm,
Das um uns all zu Tode kam.
Schlaf, Kindlein, schlaf.
Schlaf, Kindlein, schlaf,
So schenk ich dir ein Schaf
Mit einer goldnen Schelle fein,
Das soll dein Spielgeselle sein.
Schlaf, Kindlein, schlaf!
Schlaf, Kindlein, schlaf,
Und blök nicht wie ein Schaf,
Sonst kommt des Schäfers Hündelein
Und beißt mein böses Kindelein.
Schlaf, Kindlein, schlaf.
14
Schlaf, Kindlein, schlaf,
Geh fort und hüt‘ die Schaf,
Geh fort, du schwarzes Hündelein,
Und weck nur nicht mein Kindelein.
Schlaf, Kindlein, schlaf.
Umzug
Es war einmal ... oh nein, so beginnt jetzt kein Märchen. So
begann ein Ortswechsel. Von einem Dorf in ein anderes. Wir
zogen um und von diesem Umzug hab ich fast keinerlei Erinnerung
mehr. Ich weiß nur noch, dass unser Hausrat auf einem
Hänger geladen und mit einem Traktor abtransportiert wurde.
Wir zogen in das Heimatdorf meiner Mutti, dort wo schon
ihre Mutter und ihre Zwillingsschwester Ilse (meine Patentante)
mit ihrer Familie wohnten.
Also noch einmal.
Es war damals ein kleines Dorf mit ca. 150 Einwohnern, gelegen
in einem Tal im wunderschönen Thüringer Wald, dort wo
sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.