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Krimis & Thriller
Buch Leseprobe Ares, Alexander Pentek
Alexander Pentek

Ares


Gelsenkirchen-Krim

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„Nur nicht aufhören, zu laufen!“, befahl er sich. Kalter Schweiß strömte ihm aus Poren am gesamten Körper und sein Herz raste. Trotzdem kam es ihm vor, als ob er fieberte. Er hechtete die Treppenstufen zur U-Bahn herab. Eine nach der anderen, die Aktentasche mit beiden Händen vor der Brust umklammernd. „...Blau und Weiß ein Leben lang – ein Leben lang...“ Ein unübersichtlicher Pulk von Fußballfans drängte sich auf dem Bahnsteig bis an den Rand des Gleises. Blaue Trikots, Schals und hüpfende, bierselige Zuschauer, die auf die Bahn zur Arena warteten, waren ein Geschenk des Himmels. Er drehte sich rasch um, erkannte aber niemanden unter denjenigen, die nach ihm zum Umsteigen hinabströmten. Niemandem fiel auf, dass ihm der Teufel im Nacken saß. Verlor er vollends den Verstand, driftete er in Hysterie und irrationale Ängstlichkeit ab? Nein, bestärkte ihn eine ernste innere Stimme, er erlebte tatsächlich einen Moment, in dem man um sein Leben rennt. Er schnappte nach Luft und drängte sich zwischen die Fans, schob einen Drei-Zentner-Mann, der in eine mit Dutzenden Aufnähern bestickte, verschlissene Jeans-Jacke gehüllt war, zur Seite, wurde seinerseits im Gedränge mit Ellenbogen traktiert, erntete wilde Flüche, die mit Jägermeister- und Pilsgeruch garniert waren, und fand sich endlich in vorderster Front an der Bahnsteigkante wieder. Der Puls beruhigte sich, das Herz schlug nicht mehr bis zum Hals und er konnte einen erneuten Blick nach hinten wagen. Das, was er sah, beruhigte ihn ungemein. Welch ungeheures, aberwitziges Glück, dass im Jahr 1904 ein paar Halbwüchsige einen Fußballklub ins Leben gerufen hatten – und dass ihm dessen Fans nun im Schutz der Masse eine Anonymität, Sicherheit und Unangreifbarkeit boten, die durch nichts zu übertreffen war. Endlich kam die Linie 302 herangerauscht. Ihre Lichter näherten sich und wurden langsamer. Er hatte es geschafft, war noch einmal davongekommen. Plötzlich spürte er ein entsetzliches, furchtbares, brennendes Stechen in der Lunge. In seiner Brust zog sich Fleisch, von dessen Existenz er nie etwas geahnt hatte, in einem zerreißenden, erstickenden Krampf zusammen. Er riss den Mund weit auf, aber seine Brust war erstarrt, jegliches Luftholen unmöglich. „Atme!“, befahl er sich verzweifelt. Die Kraft seiner Beine versagte. Sekundenbruchteile weiteten sich zu Ewigkeiten aus. Erstickte oder ertrank er innerlich? Der Geschmack von Blut kann grausam sein. Die Welt verwandelte sich zu einem wilden Karussell, Oben und Unten verloren ihre Bedeutung, er versank im Boden und sein Kopf schlug mit voller Wucht auf harten Stahl. Das Rad der Straßenbahn war nur noch eine Handbreit entfernt, schoss in unfassbarer Schnelligkeit auf ihn zu und erschien größer als ein LKW-Reifen. Das gelbe, grelle Licht der Bahn durchbohrte die Augen auf das Unerträglichste und fürchterliches Bremsgetöse übertönte jedes weitere Geräusch. Glatter, harter, viel zu schneller Stahl rollte funkensprühend heran. Das melodische „Blau und Weiß ein Leben lang...“ hörte er so wenig wie den spitzen, kreischenden Aufschrei der Frau, die soeben noch neben ihm gestanden hatte und der nun die U-Bahn-Station abrupt zum Verstummen brachte. Es war dunkel. * Karlheinz Kappler, pensionierter Polizeihauptkommissar, Eigenbrötler, Sonderling und Hobby-Historiker, saß zur selben Stunde über eine Biographie Ramses des Großen, des altägyptischen Pharaos, gebeugt und war dem Tal der Könige näher als dem Fußballstadion im Berger Feld. Was war die Gegenwart gegen jene Großen, die einst die Dunkelheit der Welt mit ihrem strahlenden Licht für viel zu kurze Augenblicke erhellt hatten, deren Leistung noch heute staunen ließ? Nichts hasste der Alte mit dem grauen, langen Bart und der glänzenden Glatze mehr, als dass man ihn in die Niederungen der Gegenwart zurückholte, ihn mit dem Banalen und Allzu- Menschlichen belästigte. Und doch hatte er in den letzten Monaten kleine, zurückhaltende Schritte aus seiner selbstgewählten Isolation getan, zwei Morde mit aufzuklären geholfen und sich auf das Spielfeld, das sie Leben nannten, zurückgewagt. Doch inzwischen waren auch diese beiden Episoden nur noch Erinnerungen, im Geiste abgelegt und einsortiert wie in einer großen, geordneten, aber unüberschaubar umfangreichen Briefmarkensammlung. Und so, wie jede Briefmarkensammlung verstaubt und eines Tages auf dem Müll, in einem feuchten Keller ihr stilles Ende findet oder schlichtweg vergessen wird, waren Kapplers Erinnerungen die eines Mannes, für den sich die Welt nicht mehr interessierte. Derweil dankte er dem Herrn, an dessen Existenz er sich zu glauben verboten hatte, inbrünstig dafür, dass er zurück in seiner Einsamkeit war und sich ungestört seinen Studien widmen konnte. Ramses der Große...solange die Helden Verehrer finden, bleiben sie lebendig. * „Mein Gott!“ Jennifer Hartmann fluchte ungeniert. „Wissen Sie, wie lange ich gebraucht habe, um durch das Chaos im Bahnhof durchzukommen?“ Der Bahnsteig der Untergrundbahn war von den Fahrgästen verlassen. Uniformierte Polizisten versperrten die mit Flatterband abgesperrten Treppen und aus einem unerfindlichen Grund taten die Rolltreppen weiterhin einen Dienst, den niemand benötigte. Oben, am Bahnhofs-Center, hatte sich eine Meute von Schaulustigen eingefunden, die sensationslüstern oder einfach nur gedankenlos neugierig hinabstarrten. Außer Polizeibeamten in Uniform und Zivil, waren Mitarbeiter der Spurensicherung vor Ort und machten sich in ihren weißen Schutzanzügen im Gleisbett zu schaffen. Hellmut van Haaren bedachte seine junge Kollegin mit einem gereizten Blick. „Haben Sie gerade etwas gegessen?“, begrüßte er sie unwirsch und fuhr, ohne sich für die Antwort zu interessieren, fort. „Der Tote liegt noch da unten.“ Jennifer trat an die Front der stillstehenden U-Bahn heran. Trotz der angenehmen Außentemperaturen begann sie, im kühlen Untergrund zu frösteln. Das, was ihre Augen zu sehen bekamen, schlug sie unvermittelt vor den Kopf. Reflexartig schloss sie die Lider und wandte sich schockiert ab. Das ekelerregende Bild wich ihr nicht aus dem Kopf. Nicht als sie sich fasste und auch nicht, als sie die Augen wieder öffnete und auf van Haaren zuging. Sie bemerkte, dass ihre Schritte klein und konzentriert wurden, die Beine unsicher und dass eine Gänsehautwelle über ihren Rücken raste. Van Haaren starrte aufmerksam auf sie, doch Jennifer brachte keinen Ton heraus. Sie hatte schon etliche Tote gesehen. Brandleichen, Ertrunkene, Geschändete und halb Verweste. Aber waren jene wirklich diesem infernalischen Anblick auch nur annähernd vergleichbar gewesen? Was sollte sie jetzt noch zu sagen haben – angesichts einer zerfetzten Masse, die einmal ein menschlicher Kopf gewesen sein musste? Oberhalb des Halses des Toten befand sich ein unkenntliches Konglomerat aus Haut, Knochen, Blut und einem Gehirn, das von einem stählernen Straßenbahnrad durchschnitten und unkontrolliert verspritzt worden war. „Ich weiß, dass es angenehmere Leichen gibt.“ Van Haaren machte ein paar Schritte nach vorne, ging ungerührt an der Bahnsteigkante in die Hocke und wies mit dem Arm nach unten. „Sehen Sie das?“ Jenny stand noch vollends neben sich. „Kommen Sie, Frau Hartmann. Sehen Sie sich seinen Rücken an.“ Sie musste all ihre Kraft und Selbstbeherrschung zusammennehmen, um den grausig entstellten Leichnam noch einmal zu betrachten. Zögerlich näherte sie sich ihrem Chef und wagte den zweiten Blick. „Das macht ja alles nur noch schlimmer“, hörte sie sich überrascht sagen. * Eine Person ging vor den Absperrungen auf und ab, lugte nach unten, versuchte, einen Blick auf den Tatort zu erhaschen. Welch befriedigendes, zutiefst erhabenes, großartiges Gefühl es war, zu wissen, dass dort unten ein Toter lag, dessen Lebensgeister von einer Sekunde auf die andere ausgepustet worden waren. Ein Leichnam, der aufs Entsetzlichste entstellt, ja schier unkenntlich gemacht war. Der Mann, der zwischen Schaulustigen und Neugierigen in der Anonymität der Masse aufging, genoss die Gunst der Stunde noch eine Weile und machte sich dann – unbemerkt und von den Umstehenden keines Blickes gewürdigt – gemächlich davon. Er hatte genug gesehen, genug hohle Erschütterung der Menschen um ihn herum vernommen und genug der schwer greifbaren Atmosphäre des Tatortes erlebt. Ahnungslose waren sie allesamt – verachtenswerte Naive, die die wahren Dimensionen dessen, was Leben und Sterben umfassen konnte, nicht einmal in ihren gewagtesten Träumen erahnten. Und wer träumte in dieser trüben Welt der Einfallslosigkeit überhaupt noch gewagt? Sie ließen sich für Tage fassungslos davon aus der Bahn werfen, wenn sie jemanden, den sie nicht einmal kannten, dabei beobachteten, von einer U-Bahn überfahren zu werden. Mit Härterem konfrontiert, würden sie wimmernd und flehend in sich zusammenbrechen, nach Hilfe schreien, die niemand leisten konnte und den Verstand verlieren. Fragten sie sich überhaupt noch, ob es einen Grund, einen Anlass für diesen Tod geben konnte? Ihn, den wir einen Unbekannten nennen wollen, ergriff seltene Zuversicht und Unbeschwertheit – gemischt mit einem Gefühl, das man Genugtuung nennt. * Es klingelte an der Tür. Überrascht hielt Kappler inne. Wer konnte das sein? Wer wagte es, ihn, den Weltabgewandten, im Glück seiner Einsamkeit zu stören? Widerwillig blickte er von seiner Lektüre auf. Konnte derjenige, wer immer es sein mochte, ermessen, was es bedeutete, von einer Sekunde auf die andere aus dem alten Ägypten in die Gegenwart einer Ruhrgebietsstadt katapultiert zu werden? Vielleicht war er tatsächlich zu falschen Zeit geboren worden! Genervt und zornig durchschritt er seine Wohnung und öffnete die Tür, jene Pforte, die in die ihm so fremde Welt hinausführte. Er hatte schon einen seiner respektlosen, überheblich- intelligenten Sätze auf den Lippen, um den Übermütigen zurechtzuweisen, doch dann blieb er vollends konsterniert fürs Erste stumm. „Hallo, Vater!“, sagte der grinsende Mann, neben dem eine Frau und zwei kleine Kinder standen und ihm ebenfalls glücksselig und erwartungsfroh entgegenlächelten. „Teufel, stehe mir bei“, murmelte Kappler unverständlich in den Bart. * „Wissen wir schon, wer der Tote ist?“, fragte Jennifer ihren Chef. Aus den zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren hatte sich eine widerspenstige Strähne befreit und tanzte vor ihrem rechten Auge herum. „Was denken Sie angesichts dieses Gesichtes? Wir haben einen Ausweis in seiner Aktentasche gefunden, bei dem es sich um einen serbischen Pass handelt, der auf einen gewissen Dragomir Vukic ausgestellt ist. Wir werden sicherlich um einen DNA-Vergleich nicht herumkommen.“ „Wissen wir, wo er wohnt?“, hakte sie nach. „Durchaus, Frau Hartmann. Ich habe Günther und Jürgen bereits dort hingeschickt. Sie werden mit mir noch ein paar Zeugenvernehmungen vornehmen. Angeblich hat niemand gesehen, wie ihm das Messer in den Rücken gestoßen wurde.“ „Das ist in dem dichten Gedränge vor einem Schalke-Spiel kein Wunder. Aber was“, wies sie an die Decke, „ist mit der Überwachungskamera?“ „Darum habe ich mich noch nicht gekümmert. Ich habe viel zu viel Zeit auf einen dreisten Mann von der Bogestra verwendet, der partout nicht begreifen wollte, dass durch diesen U-Bahnhof in den nächsten Stunden keine einzige Bahn fahren wird.“ „Ich bin mir sicher, dass Sie ihn zur Einsicht gebracht haben.“ Jennifer zwinkerte verstehend. „Als ich ihn darüber informierte, wie kurz er davor stand, polizeiliche Ermittlungen vorsätzlich zu behindern und deshalb den Rest des Nachmittags im Arrest zu verbringen, hatte er in rekordverdächtiger Zeit etwas ungemein Bedeutsames zu tun und ward nicht mehr gesehen.“ Ein Mann der Spurensicherung winkte von den Gleisen mit einem durchsichtigen Plastiksäckchen, in dem das Messer steckte. „So etwas sieht man nicht jeden Tag!“, rief er zu Jennifer und van Haaren.


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